Wir haben uns in den letzten Wochen mit Kafka beschäftigt und im Rahmen dessen “Die Verwandlung” gelesen. In der Klasse haben wir mehrere Deutungshypothesen besprochen, beispielsweise dass der Text autobiographisch ist und Kafkas Beziehung zu seiner Familie darstellt, dass es eine Kritik an der Arbeitswelt ist, psychische Probleme darstellt, oder die Lebensumstände der Zeit kritisiert.
Als Hausaufgabe auf den 13.05. sollten wir uns Gedanken zu der Verwandlung in der heutigen Zeit machen. Ich möchte in diesem Blogeintrag näher auf diesen Auftrag eingehen.
Nachdem ich den Text gelesen hatte, sind mir einige Parallelen zur Gegenwart eingefallen. Es ist bekannt, dass manche Jugendliche meiner Generation sehr lange Zeit im Bett liegen und nichts machen, weil sie sich schlecht fühlen und keine Energie haben (‘bed rotting’). Ich habe mir gedacht, dass man dies mit Gregor vergleichen kann, der in seinem Zimmer gefangen ist, nicht wegkommt und unproduktiv ist. Deshalb möchte ich die Umstände, die Gregor zur Verwandlung gebracht haben, mit den Dingen, die viele meiner Freunden belasten, vergleichen. Auch die Gefühle während der Isolation sind vergleichbar.
Der Text ist sehr abstrakt, sodass er auf viel Situationen angewendet werden kann und deshalb mit dem Vergehen der Zeit nicht an Relevanz und Aktualität verliert. Es gibt aber auch Themen, die sich klar durch den Text ziehen; die Hierarchien seiner Familie und der Arbeitswelt, Isolation von der Gesellschaft, der Einfluss von materiellen Umständen auf das Leben uvm. Ich werde versuchen, diese Elemente der Geschichte mit heute zu vergleichen.
Vor der Verwandlung sah Gregors Arbeitsalltag sehr streng aus; er musste sehr früh aufstehen, um den ganzen Tag zu arbeiten. Er ging einer Arbeit nach, die er gar nicht mochte, weil er die Schulden des Vaters abzahlen musste und seiner Familie ein schönes Leben garantieren wollte. Wie der Leser, und gleichzeitig Gregor Samsa, erst mitten im Buch erfahren, legte die Familie einen Teil von Gregors Lohn stets zur Seite, ohne es ihm zu sagen. So denkt Gregor nach dem er davon erfährt:
“Eigentlich hätte er ja mit diesen überschüssigen Geldern die Schuld des Vaters gegenüber dem Chef weiter abtragen haben können, und jener Tag, an dem er diesen Posten hätte loswerden können, wäre weit näher gewesen”
- Seite 52, Die Verwandlung
Er wurde von seiner Familie also nicht nur ausgenutzt, um ihren Unterhalt zu zahlen, obwohl alle Mitglieder arbeitsfähig sind. Sondern sein Geld wurde auch eingeteilt und benutzt, ohne, dass er in die Entscheidungen einbezogen wurde oder darüber informiert wurde. Die Macht über solche Entscheidungen liegt immer noch bei Gregors Vater. Gregor ist also sowohl in der Arbeitswelt als auch in seiner Familie machtlos und am unteren Ende der Hierarchien. Gregor hat absolut keine Kontrolle über sein Leben, bis auf seine Gedanken. Das zeigt sich später auch in seiner Verwandlung zum Ungeziefer. Als Ungeziefer wünscht er sich stets Kontrolle über seinen Körper, seine Umstände, seine Möbel, seine Stimme, seine Arbeitsfähigkeit doch kommt er stets zu der ernüchternden Erkenntnis, dass er komplett ausgeliefert ist.
Ich denke, dieses Gefühl von Kontrollverlust ist in meiner Generation besonders verbreitet. Man lernt, studiert und arbeitet und geht durch das System, das die Generationen vor uns geschaffen haben. Man wird zu einem nützlichem Glied der Gesellschaft, das seine Lebenszeit gegen Geld tauscht und beim übermässigem Konsum dieses Geld wieder ausgibt. Konfrontiert mit dem Klimawandel und der Endlichkeit nicht nur der eigenen Existenz sondern jeglicher menschlichen Existenz stellen aber immer mehr Jugendliche die Frage “Wieso überhaupt?” Wieso jeden Tag aufstehen und produktiv sein, wenn die Welt untergeht und zu wenig dagegen gemacht wird? Was bringt mir dieses übermässige Konsumieren, wenn es das Problem nur verschlimmert und mich nur temporär glücklich macht?
Vielleicht bin ich auch sehr stark in meiner Bubble, aber in meinem Umkreis leiden viele unter diesen Gedanken. Mein Vater hat mich einmal gefragt, wieso die Depressionsrate von Teenagern in westlichen Ländern so gestiegen ist, wenn uns alle Möglichkeiten offen stehen und man seine Ausbildung frei auswählen kann. Ich denke, dass wir viele Privilegien haben, aber die Last tragen, mit einer Menge Probleme konfrontiert zu werden. Wir haben im Hinterkopf, dass die Welt immer heisser wird und es in den existierenden Strukturen sehr schwierig ist, teure Veränderungen durchzusetzen, um Probleme zu bekämpfen, die erst später vollständig sichtbar werden.
Gregor ist stets in einer Position, in der er nicht viel verändern kann und gewissermassen ausgeliefert ist. Als Mensch ist er gezwungen, jeden Tag einer harten Arbeit nachzugehen, um die Schulden seines Vaters abzuzahlen und seiner Familie ein gutes Leben zu gewährleisten. Als Käfer ist er auch gefangen; sowohl in seinem Körper als auch in seinem Zimmer. Ich kenne viele, die sich, genau wie Gregor, ausgeliefert in ihrer Position fühlen und versuchen, durch ihr Verhalten etwas zu ändern aber gleichzeitig genau wissen, wie beschränkt ihre Macht ist.
Als Ungeziefer ist er für unsere Gesellschaft ein unproduktives Lebewesen, auf das herabgeschaut wird. Seit der Verwandlung “nützt” er weder seiner Familie noch seinem Arbeitsgeber etwas. In seinem arbeitsunfähigen, kranken Zustand verursacht er nur Kosten. Ich denke, daran hat sich wenig verändert. Heute gibt es immer noch sehr viel Druck, auch krank zur Arbeit zu gehen.
Gregor wirkt so, als bräuchte er seine Arbeit, um sich nützlich zu fühlen und seine eigenen Existenz zu rechtfertigen. Als er keiner Arbeit mehr nachgehen kann, sucht er die Bestätigung beim Prokuristen:
“Herr Prokurist, gehen Sie nicht weg, ohne mir ein Wort gesagt zu haben, das mir zeigt, dass Sie mir wenigstens zu einem kleinen Teil recht geben!”
-Seite 39, Die Verwandlung
Die Bestätigung bekommt er aber nicht, und als seine Familie aufhören, ihn zu lieben und und an ihn zu glauben, verliert er den letzten Grund zum Leben.
Für den Text habe ich keine Quellen benutzt. Bildquelle: Gregor Samsa von Rich Johnson
Diesen Text habe ich nicht auf einmal geschrieben, sondern ich habe immer wieder kurze Zeit daran gearbeitet. Ich denke, das zeigt sich leider. Ich wiederhole Gedanken, was natürlich den Lesefluss stört. Ich hoffe, ich konnte ein paar Gedanken rüberbringen und der Text ist nicht nur für mich verständlich.
Für die Zeit, die ich hatte, ist es in Ordnung, aber wenn ich mehr schreiben könnte wäre es klarer gewesen, auf was ich hinaus möchte. Ich hätte mehr Beispiele aus dem Text und aus der Gegenwart bringen können, mehr